Das Orkantief "Jeanett" am 27.10.2002


Die letzten Tage vor dem 27.10.2002 brachten immer wieder windiges Wetter. Die farbigen Oktoberblätter wirbelten durch die Luft und erinnerten manchmal an ein gelbfarbenes Schneegestöber. Der Sommer ist vergangen und die Natur bereitet sich auf die kalte Jahreszeit vor. Es ist auch die Zeit, in der die Temperaturgegensätze zwischen den Regionen im hohen Norden und den noch warmen mediteranen Gebieten sowie den Subtropen immer größer werden. Die Folge sind kräftige Tiefdruckentwicklungen über dem Atlantik, die immer wieder auch nach Mitteleuropa übergreifen können.

Einige Tage vor dem Eintreffen von "Jeanett", dem Orkanwirbel, der uns am 27.10.2002 erreichte, war in den Prognoseunterlagen bereits ein erster ernstzunehmender Hinweis darauf erkennbar, dass möglicherweise ein solch starkes Tief Deutschland erreichen würde.

60 Stunden, bevor es die ersten schweren Böen in Deutschland gab, war Jeanett nur als recht unscheinbares Sekundärtief über dem Atlantik aufgetaucht:

24 Stunden später, also am Samstag, 26.10.2002, 00z-Termin hatte sich Jeanett um rund 20 hPa vertieft und nahm Fahrt Richtung Europa auf. Das Tief zeigt die Eigenschaften eines klassischen Schnellläufers, ist im 500 hPa kaum mehr sichtbar und bewegt sich mit der Frontalzone außerordentlich schnell ostwärts.

In der Nacht zum Sonntag erreichte Jeanett Großbritannien. Bei den Isohypsen nur als kurze Welle ausmachbar, zeigen die Isothermen des 500 hPa-Niveaus allerdings den Transport von Warmluft, der vorderseitig des Wirbels nach Norden hin in Gang kommt.

Situation am Morgen des 27.Oktober: Der Kern von Jeanett bewegt sich über Großbritannien hinweg Richtung Nordsee. Die Kaltfront hat den Ärmelkanal überquert und zieht nun landeinwärts über Frankreich und Benelux. Im "dry slot" über der Nordsee und Südwestengland südlich des Tiefkerns erkennt man kaum Bewölkung, während über Irland und südlich davon bereits die typische Wabenstruktur der Schauerbewölkung in der nachfließen Höhenkaltluft zu erkennen ist.

Auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung bewegte sich das Tief mit seinem Zentrum Richtung Dänemark weiter. Zum Mittagstermin ist Jeanett mit einem Kerndruck von etwas über 965 hPa über der Nordsee angekommen. Bereits am Vormittag wurden in Großbritannien im Flachland Windspitzen von 120 bis 140 km/h gemessen. Das sind volle Orkanböen.

Am frühen Nachmittag hatte die Kaltfront den Westen Deutschlands bereits passiert. An vielen Orten lockerte der Himmel auf und die Sonne konnte ihr Gastspiel geben. Allerdings war, wie das auch erwartet worden war, das stärkste Windfeld im Trogbereich von Jeanett. Ich habe in der folgenden 850 hPa-Karte von 12 UTC das starkste Sturmfeld markiert:

Auch erst weit hinter der Bodenkaltfront sieht man, wie die Kaltluft in 500 hPa mit Werten unter -25 Grad heranrauschte. In diesem Druckniveau wurden über Nordwestdeutschland (noch im Höhenwarmluftbereich) 100 Knoten als Windmittel gemessen. In dieser Karte habe ich die Lage der Bodenfronten sowie die Isothermen im 500 hPa-Level zum 12z-Termin eingezeichnet:

Nach dem Durchschschwenken der Bodenkaltfront bot sich einem trotz des zunehmend stürmischen Windes nicht immer ein graues Himmelsbild. Wilde Fetzen flogen rasend über den Himmel und manchmal schien die Sonne gar. Eine typische Rückseite, auf die später der Trogbereich folgen sollte.

Im Laufe des Nachmittags nahmen die Böen hinter der Kaltfront immer mehr zu. Die Vorhersagekarten des Amerikanischen Wetterdienstes vom Morgen bestätigten nicht nur die Prognoseunterlagen des Vortages, sondern verstärkten die Simulation des Bodenwindfeldes nochmals geringfügig:

Die Windspitzen, die dann von den einzelnen Stationen gemessen wurden, bestätigten die gemachten Vorhersagen:

Hier einzelne ausgewählte Windspitzen in km/h:

126 Geilenkirchen (Nordrhein-Westfalen)
115 Frankfurt am Main
111 Karlsruhe
126 Neubrandenburg
111 Düsseldorf
122 Lüdenscheid
122 Norderney
126 Rostock

Sicherlich wurden an einigen Orten im Flachland auch örtlich über 130 km/h gemessen. Leider gab es dabei Tote und große Sachschäden.

Im Bergland gab noch stärkere Böen:

176 Brocken
183 Fichtelberg
156 Feldberg / Schw.

Folgendes Bild stammt aus der Nähe von Frankfurt (dpa). Umgestürzte Bäume waren keine Seltenheit.

In der Höhenwindprognose für 850 hPa um 18 UTC ist nochmals der Schwerpunkt des Sturmfeldes zu erkennen, der sich mit bis 85 Knoten als Mittelwind über Mittel- und das südliche Norddeutschland erstreckt:

Die Windvorhersagen, wie in diesem Teil des LM-Meteogramms für Bad Lippspringe ersichtlich ist, zeigten für den Sonntagabend im Trogbereich des Tiefs gar 90 Knoten mittleren Wind in 850 hPa. Die gelbe Linie kennzeichnet den Temperaturverlauf in 850 hPa, wo man eindrucksvoll dem Warmlufteinschub auf Jeanetts Vorderseite erkennen kann. Der Rückgang in 850 hPa dann mit der Kaltfront, die in den Mittagsstunden durchschwenkte. Übrigens sieht man hier auch wunderbar, dass erst im Trogbereich die höhenkalte Luft einfließen sollte, also am Sonntagabend und in der Nacht zum Montag. Es war also bis in die Nacht hinein nicht nur an diesem Gitterpunkt, sondern überall in Deutschland noch mit heftigen Böen zu rechnen, denn die immer weiter zurückgehenden Werte in 500 hPa sollten die Atmoshäre immer weiter labilisieren. (Blaue Kurve -10 Kelvin=Temperatur in 500 HPa).

Solche Bilder gab es zuhauf. Bäume, die krank waren, oder exponiert standen, waren am meisten gefährdet:

Mit dem Durchschwenken der Kaltfront ergaben sich an vielen Orten eindrucksvolle Himmelsbilder. Vor allem dann, wenn die abendliche Sonne ihre Strahlen unter abziehende Schauer-Wolken schickte.

Ungestüme Nordsee:

Am Abend war das Zentrum von Jeanett über Dänemark angekommen, das Tief hatte zu diesem Zeitpunkt den Zenit seiner Entwicklung bereits überschritten. Allerdings sieht man hier in den Isothermen des 500 hPa-Niveaus die zunehmende Kaltluftadvektion, was die Böigkeit des Windes förderte. Am späten Abend erreichte die -25 Grad-Isotherme auch Süddeutschland. Auf dieser Karte liegt sie allerdings noch über Nordfrankreich und der Nordsee.

Hier das Radarbild von der selben Uhrzeit (18 UTC) wie die obige Karte. Man sieht als eine Art Höhenkaltfront im Trogbereich die ankommende Höhenkälte, was das kringelförmige Regenbebiet markiert:

Im Radarbild vom späten Abend sieht man die südwärts ausgreifenden Schauer im Trogbereich. Hier, rückseitig des ostwärts abziehenden Wirbels, erreichte nun die weiter oben aufgezeigte Höhenkälte ganz Deutschland von Nordwesten her und brachte weiterhin einige Schauerlinien hervor, die trotz langsam abnehmendem Höhenwind auch im Westen und Süden letzte heftige Böen brachte:

Hier das zugehörige Infrarotbild vom späten Abend:

Bis Mitternacht zog der Wirbel weiter über die Südspitze Skandinaviens zur Ostsee. In Baden-Württemberg war zum 00z-Termin bereits der Wind weitgehend abgeflaut und wehte nur noch mäßig. Das stärkste Sturmfeld beschränkte sich nun gegen 00 UTC hauptsächlich auf die Mitte, den Osten und Nordosten Deutschlands:

Das langsam weiter auffüllende Tief war dann zum Montagmorgen soweit ostwärts abgezogen, dass der Wind in weiten Teilen Deutschlands weitgehend abgeflaut war, abgesehen vom Nordosten, wo der Bodengradient anfangs noch recht stark war.

Eine synoptisch gesehen spannende und interessante Wettersituation hatte uns am 27.10.2002 erreicht, die jedoch auch aufgrund der an vielen Orten sehr großen Windspitzen sehr gefährlich war. Zum Abschluss dieser Betrachtung noch zwei Karten zur Ansicht: zunächst der Luftdruckverlauf aus Berlin-Teltow, hierfür Dank an Peter Rosenzweig:

Und auch Danke an Gitte Herden für die Bereitstellung des Winddiagramms an der Wetterstation Hetzerath (Mosel). Man sieht eindrucksvoll, das die stärksten Windgeschwindigkeiten hier nicht an der Kaltfront, sondern bei der zunehmend labilisierten Rückseite des Tiefs gemessen wurden:

Quellen:

Analysen: Wetterzentrale, DWD 
Bilder: dpa, Manfred Stellenberg, Axel Lindner 
Grafiken: Gitte Herden, Peter Rosenzweig 
Radarbilder: Wetterspiegel

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Marco Puckert, 5.11.2002